Im Spiel schwinden die Berührungsängste

Personen-am-Tisch

«Wer spielt am Dienstag mit der Damenmannschaft in Cham?», schreibe ich in meiner WhatsApp-Gruppe «Volleyball» auf meinem Handy. Die Antworten der jungen afghanischen Männer flattern prompt und geballt mit rasch aufeinanderfolgenden Klingeltönen bei mir ein: Ali, Ashraf, Hussein, … Nach drei Minuten ist unsere Mannschaft komplett, und zufrieden und beglückt melde ich an Gisela Hauser zurück: «Alles klar, wir kommen und sind vollzählig da.»

Gisela managt die Spieleinsätze der Damen-Volleyballmannschaft des Sportvereins Cham in der Röhrliberghalle. Sie reagierte einst umgehend positiv, als die reformierte Kirche im Herbst 2016 bei ihr anfragte, ob ein gelegentliches gemeinsames Training mit afghanischen Flüchtlingen denkbar wäre. Seither kommen sich die auf hohem Niveau spielenden Afghanen, allesamt Anfang zwanzig, und die Schweizer Frauen, die vom Alter her ihre Mütter sein könnten, bei jedem Treffen ein Stück näher: beim 14-tägigen gemeinsamen Training, bei der Einladung zum gemütlichen Ausklang danach in der Bar bei einem Glas Rivella oder bei der Gegeneinladung im Kirchgemeindesaal der Reformierten Kirche in Cham bei afghanischer Hühnersuppe und feinem Kardamom-Kuchen.

Erfreuliches Zusammenspiel

«Wir spielen uns immer besser aufeinander ein!», staunen die Frauen und meinen das exakte Zuspiel und die überlegten Spielzüge, aber sicher auch das Schwinden von Berührungsängsten. «Heute gab es sogar Damenwahl bei der Mannschaftsaufteilung», lacht Heidi.

Im Juni letzten Jahres entstand die Idee, dass die Reformierte Kirche Cham als Teil des Netzwerkes Asyl Cham und in Zusammenarbeit mit der Freiwilligenorganisation FRW Interkultureller Dialog Zug eine Volleyball Gruppe mit afghanischen Flüchtlingen starten könnte, um den jungen Männern, die auf Anerkennung ihres Asylgesuches warten, eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung und gute Gruppenerfahrung zu ermöglichen. Dank des Entgegenkommens der Stadt Cham trainieren seither jeden Mittwoch rund 15 junge Männer in der Städtli-Sporthalle und treffen sich danach noch mit Jürgen Dick und Martin und Annette Plath, dem Sozialdiakonen-Ehepaar, zum gemeinsamen Teetrinken, Deutschsprechen und Kartenspielen.

Eine andere Welt kennenlernen

Dabei lernen die jungen Männer aus den Taliban-umkämpften Gebieten mit viel Gewalt- und Leiderfahrungen eine ganz andere Welt kennen: die Selbstverständlichkeit von Frieden und Zuverlässigkeit, Ordnung und Freiheit, Toleranz im Bereich von Religionszugehörigkeit und Herkunft. «Jetzt spielen wir duus patscha!», schlägt Alisher vor, «das heisst ‹Dieb König› in unserer Dari-Sprache», und mischt fröhlich die Karten. Die meisten Afghanen sprechen mittlerweile gut Deutsch, sie haben fleissig Sprachkurse absolviert und trainieren auch mit dem «Rosetta Stone»-Sprachlernprogramm von FRW am Computer.

Rahim zum Beispiel engagiert sich inzwischen als Lernbetreuer, um andere Kollegen beim Sprache -Lernen zu unterstützen. Ali Ahmad zeigt seine Kochkünste und zaubert in der Küche für 26 Personen die afghanische Meister-Hühnersuppe auf den Tisch. Abdulkhaliq fragt nach dem Termin für seine nächste Klavierstunde. Sherhossein und Ashraf führen einmal vor, was sie beim Habkidu-Training in der Chamer Kampfsportschule gelernt haben. Naurus und Rahmat zucken lachend mit den Schultern und schwingen ein Tuch durch die Luft – «Kommt, wir tanzen!», rufen sie und bewegen sich zu afghanischer Musik durch den Kirchgemeindesaal, ohne Scheu, mit offenem Blick, unaufdringlich und würdevoll. Das haben sie lange nicht gedurft.

«Schaut mal, wir haben hier zu dritt mit der Mandarine auf dem Tisch eine Blume gelegt, die Schale als Blütenblätter drumherum und die Frucht als Blütenstern in der Mitte geteilt. Sogar Schmetterlinge flattern da, aus einem Schnitzchen doppelt gezupft, um die Blume herum!», ruft Greta begeistert. Ein schönes Bild für das, was hier in unserem Miteinander geschieht: Verschiedene Kulturen begegnen sich, gestalten gemeinsam ihr Leben in Vielfalt, essen, teilen, reden und geben sich gegenseitig Hoffnung auf eine gelingende Zukunft.